Interview mit zwei ehemaligen Schülern aus dem Jg. 1973

Von Kathrin Bialas

Vor 50 Jahren, am 24. Mai 1973 hat der erste Jahrgang des Beruflichen Gymnasiums, Fachrichtung Technik, an der BBS II Wolfsburg sein Abitur erfolgreich abgelegt. Eine Zeit von Krisen, Umbrüchen und Veränderungen, für viele geprägt von schrillen Extremen: Hippies, Disco-Fieber, Schlaghosen und Flower-Power, aber auch terroristische Anschläge wie die Geiselnahme während der Olympischen Spiele in München. Wir sind gespannt, wie der Abi-Jahrgang ´73 das alles erlebt hat, was aus den ehemaligen Schülern geworden ist und mit welchen Gefühlen sie auf ihre Schulzeit an der BBS II zurückblicken. Dazu haben sich die ehemaligen Schüler Herr Dr. Farny und Herr Kurella für ein Interview an unserer Schule mit Frau Bialas bereiterklärt.

KATHRIN BIALAS: Warum haben Sie und ihre Mitschüler sich für das BGY anstelle eines allgemeinbildenden Gymnasiums entschieden?

DR. BERND FARNY: Ich habe eine Lehre bei Volkswagen gemacht, aber festgestellt, dass mir das nicht ausreichte. Dann wurde das Technische Gymnasium aufgebaut und ich wurde sowohl von meinen Eltern als auch von den Lehrern darauf angesprochen, dass dies genau das Richtige für mich wäre.

RAINER KURELLA: Bei mir war das ganz anders. Ich war zuerst auf dem Ratsgymnasium, hatte aber Probleme mit Französisch, wodurch es für mich dort nicht weiterging. Gerade in der Zeit begann es an der BBS II mit dem technischen Abi. Weil ich mich hier mit Wolfsburg und VW verbunden fühlte, passte das perfekt.

In welchen Fächern haben Sie am meisten gelernt?

DR. FARNY: Da ich später Naturwissenschaften studiert habe, vor allem in Physik, das hat mir fachlich sehr viel gebracht und am meisten Spaß gemacht. Auch Mathematik und Englisch fand ich sehr interessant, wenn auch ich nicht sonderlich sprachbegeistert war, aber wir hatten einen Englischlehrer, der den Unterrichtsstoff gut in gesellschaftliche Themen eingebunden hat.

KURELLA: Auch die praktische Ausbildung in den Werkstätten nach der 11. Klasse und ein 6-wöchiges Praktikum im VW-Werk, das wurde hinterher fürs Studium angerechnet, waren sinnvoll. In der schulischen Ausbildung habe ich viel in Bezug auf Metallbearbeitung mit Schweißen sowie die ganzen Grundtechniken gelernt. Ich habe später an der HBK in Braunschweig studiert und da kamen mir diese Fertigkeiten tatsächlich zugute.

An welche Lehrer haben Sie die beste Erinnerung?

DR. FARNY: Natürlich an den Physiklehrer, an unseren Klassenlehrer sowie an den Deutschlehrer, der uns auch sehr viel über allgemeine gesellschaftlichen Themen beigebracht hat. Die meisten Lehrer sind übrigens mit Schlips und Kragen gekommen, Lehrerinnen gab es eher selten; nur unsere Chemielehrerin, die auch guten Unterricht erteilt hat, auch wenn die Relevanz dieses Faches für uns fragwürdig war.

Warum gab es nur eine Schülerin in Ihrer Klasse?

KURELLA: Das lag keinesfalls an uns, wir hätten uns über mehr Mädchen in der Klasse gefreut, sondern wohl eher am damaligen Rollenverständnis der Gesellschaft. Es war ja ein technisches Gymnasium und wurde auch so propagiert als Vorbereitung zum Ingenieurstudium und da gab es eben nicht viele Frauen, die damals in diese Richtung gehen wollten oder konnten.

Wie sah ein klassischer Schultag Anfang der 70er Jahre aus?

DR. FARNY: Da wir samstags keinen Unterricht, also eine 5-Tage-Woche, haben wollten, ging unser Schultag bereits sehr früh um 7.15 Uhr los. Wir hatten dann häufig 90-Minuten-Blöcke. Zur Schule sind wir anfangs meist mit dem Fahrrad, oder im Winter mit dem Bus gekommen. Später dann mit dem original Käfer mit 40 oder sogar 44 PS. Zuhause haben wir danach Hausaufgaben gemacht und nachmittags frei gehabt. Ein Teil der Klasse hat sich abends ab und an zum Bowling getroffen.

Wie haben Sie als Schüler damals ohne Handy und Internet überlebt?

KURELLA: Schwer zu sagen, denn wir kannten es ja nicht anders. Wir haben ganz herkömmlich in der Stadtbücherei recherchiert, das war unser Wikipedia. Wir haben das also komischerweise einfach mit Büchern geschafft, was auch sein Gutes hatte: Man liest sich intensiv ein und speichert es besser auf der eigenen internen Festplatte, als wenn man mit einem Wisch in hoher Geschwindigkeit alle Informationen auf einmal erhält. Natürlich ist die Stichwortsuche heute über Wikipedia viel einfacher. Aber die Kehrseite der heutigen Mediennutzung ist die Hektik und Schnelligkeit, sodass man Dinge gar nicht mehr selbst in Ruhe reflektieren kann.

Waren Sie damals politischer als die heutige Jugend?

DR. FARNY: Vor 50 Jahren war es die Zeit des kalten Krieges. Jeder, der damals mit dem Auto nach Berlin fuhr, war schockiert von den Schikanen der DDR-Grenzer. Ich persönlich hatte Verwandte in der DDR (gleichaltrige Schüler und Studenten) und hatte damals Angst vor einem Atomkrieg, wünschte mir nichts sehnlicher als Frieden. Insofern fand ich die Öffnungspolitik von Willy Brandt gut und richtig. Dazu war es eine Zeit, in der überkommene (Herrschafts-) Strukturen überdacht, hinterfragt und auch neu geordnet wurden – auch dafür habe ich mich damals engagiert. Heute steht der Klimawandel im Vordergrund des politischen Engagements der jungen Generation. Ich kann das nachvollziehen und habe durchaus Sympathien für „Fridays for Future“ oder die „Letzte Generation“ – wenngleich ich die Methoden nicht immer gutheiße. In diesem Themenfeld hat meine Generation echt versagt – und versagt leider größtenteils immer noch! Generell meine ich also, dass sich die Themen, für die junge Menschen sich engagieren, in den letzten 50 Jahren eher gewandelt haben als das ich der heutigen Jugend weniger politisches Engagement nachsagen möchte.

Am 5. September 1972 drang die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ während der Olympischen Spiele in München in die Mannschaftsquartiere ein, ermordete zwei israelische Sportler und nahm neun Menschen als Geiseln. Alle Geiseln wurden bei der Befreiungsaktion getötet. Ein paar Tage später waren Sie in München auf Klassenfahrt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

KURELLA: Noch in der Schule haben wir diese bedrückende Trauerfeier im Vortragssaal erlebt, anschließend wurde in München beschlossen, die Olympiade fortzusetzen und wir sind dann hinterher direkt runtergefahren nach München und haben dort noch sehr viel von dieser ganzen Sache mitbekommen. Wir haben auch als Klasse das Olympiagelände besucht und eine sehr bedrückende Stimmung wahrgenommen. Nichtdestotrotz war es eine Klassenfahrt, auf der wir als Schüler viele tolle Erlebnisse hatten. Wir konnten uns alle sehr für das Deutsche Museum mit der vielen Technik begeistern. Wir hatten auch noch ein umfangreiches Programm bei BMW und weiteren Sehenswürdigkeiten.

Wie haben Sie Ihr Abitur erlebt und was passierte danach?

DR. FARNY: Zur Prüfungszeit standen wir schon sehr unter Druck. Es liegt lange zurück, aber wir haben circa fünfstündige Arbeiten in den Hauptfächern Deutsch, Mathe, Englisch und Physik geschrieben. Ich selbst musste damals glücklicherweise nicht mehr in die mündliche Prüfung. Was ich im Nachhinein schade fand, war, dass wir keine richtige Abschlussfeier hatten, sondern irgendwie mehr oder minder auseinandergegangen sind. Damals war die Zeit, als Computer gerade aufkommen sind und ein Informatikstudium möglich war. Da ich aus meiner Lehre noch Beziehungen zu VW hatte, konnte ich dort ein IT-Praktikum machen und anschließend in Braunschweig Informatik studieren.

Inwiefern war die Schule damals anders als heute? Was hätten sie aus heutiger Sicht gern gehabt oder worauf verzichtet?

DR. FARNY: Gäbe es so etwas rückblickend, hätte ich mir schon damals Leistungskurse gewünscht und auch die Möglichkeit, Fächer wie beispielsweise Biologie oder Chemie abzuwählen. Man hat eben etwas vorgesetzt bekommen und das hat man dann versucht zu bewältigen. Insgesamt ist das unserem Jahrgang gut gelungen, viele sind erfolgreiche Akademiker, darunter Professoren, Doktoren, Ingenieure, Beamte, Pädagogen und Kaufleute geworden. Ich hätte mir damals gewünscht, dass ethische und moralische Grundfragen intensiver diskutiert und Inhalte rund um die menschliche Arbeitswelt, Belastbarkeit, psychologische Fragen etc. thematisiert worden wären.

Die meisten Ihrer Mitschüler arbeiten heute in den Bereichen rund ums Auto oder Soziales. Vier sind sogar Lehrer geworden! Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

KURELLA: Der Volkswagen-Konzern spielt in Bezug auf den Arbeitsbereich Auto hier natürlich eine sehr große Rolle. Ich selbst hatte als Pädagoge in Niedersachsen zu dieser Zeit leider schlechte Karten, sodass ich zunächst über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im christlichen Jugenddorfwerk angestellt war, später dann Spätaussiedler-Sprachkurse gegeben habe und danach als Vertretungslehrer in den Schuldienst gekommen bin. Meine Stammschule war in Fallersleben, jedoch musste ich überall rings um Wolfsburg kurzfristige Schwangerschafts- oder Krankheitsvertretungen bewältigen, was natürlich sehr anstrengend war. Zum Glück hat es am Ende dann doch noch mit einer Beamtenstelle geklappt.

DR. FARNY: Auf meinem Gebiet war das deutliche einfacher; ich habe drei Bewerbungen geschrieben und drei Zusagen bekommen.

Was würden Sie mit dem heutigen Wissen den derzeitigen Schülern am BGY mitgeben?

KURELLA: Es wäre schön, wenn der Frauenanteil in technischen Berufen erhöht werden würde, sich also mehr Mädchen für das Berufliche Gymnasium Technik begeistern könnten.

DR. FARNY: Zudem sollten die Schüler sich zu Beginn eines Studiums überlegen, wo sie eigentlich hinwollen. Es gibt für mich zwei Richtungen, einerseits die Fachspezialisten und andererseits die im Management, wo ich letztendlich auch gelandet bin. Und wenn man in Richtung Management geht, dann sollte man ein möglichst breites Grundlagenwissen schaffen, indem man im Studium auch links und rechts guckt. Bei meiner beruflichen Station in China hätte ich beispielsweise eher ein Psychologiestudium benötigt als das ganze angehäufte Fachwissen, um die Menschen einfach besser zu verstehen. Was insgesamt zählt, ist außerdem eine positive und möglichst offene, interessierte Einstellung.

Herzlichen Dank für die interessanten Einblicke und Ihre Offenheit. Wir wünschen Ihnen alles Gute und eine schöne 50-Jahr-Feier am 16. Juni 2023!